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Samstag, 17. April 2010

Tag X-5+13: Sollte ich einfach die Klappe halten?

1633 erbaut von Koenig Shahjahan als Mausoleum fuer seine 2. Frau Mumtaz Mahal, die bei der Geburt ihres 14. Kindes verstarb. Das Taj Mahal gilt als Weltwunder und inspiriert Kuenstler aus aller Welt. Als Traene im Antlitz der Unendlichkeit wurde es beschrieben.

Die Konstruktion aus weissem Marmor dient eigentlich einzig dazu, die letzte Ruhe von Mumtaz Mahal so angenehm wie moeglich zu gestalten. Das Bewegenste ist jedoch nicht die architektonische Meisterleistung sondern ein Gefuehl unermesslicher Liebe, der Liebe eines Mannes zu seiner Frau ueber den Tod hinaus, welche die Hallen fuellt und von jeder mit Edelsteinen besetzten Blumenverzierung erstrahlt.

Wenn sich das Goettliche in zwischenmenschlicher Liebe manifestieren kann, war dies wohl zwischen diesem Paar der Fall und dieses Wunder hat den Taj Mahal erschaffen.

Mittwoch, 31. März 2010

Tag X+DM: Warum geschieht nie nichts?

Die westliche Gesellschaft fuehlt sich dem Wachstum verpflichtet. Stagnation - nichts tun - ist verpoent. Der entsprechend ausgebildete Geist langweilt sich staendig und in seiner Wahrnehmung geschieht immer etwas, auch wenn es sich lediglich um das Konzept der Langeweile handelt. In den Bergen Sikkims bei sinnflutartigen Regenfaellen, wo die Unstetigkeit der Stromversorgung das einzig Zuverlaessige ist, findet jedoch eine akzeptable Annaeherung an das Konzept des Nichts statt.

Tag X+Pustekuchen: Koennte ich meine immerwaehrenden Anstrengungen, normal zu erscheinen, fuer etwas besseres einsetzen?

Wenn auf 2000 m.u.M 70 Toepfe mit Orchideen verschiedener Art, von denen jede mit mindestens drei Aesten und jeder Ast mit 10-20 perfekten Blueten bestueckt ist, gleichzeitig in Bluete stehen, erscheint mir dies das hoechst Moegliche an Aussergewoehnlichkeit.
Fuer die Mehrheit der anwesenden indischen Touristen scheint aber eine weisse Frau weiter von der Normalitaet entfernt als die Blumenpracht und ein Photo mit dem weissen Ding die Kroenung des Urlaubs. An wievielen indischen Wohnzimmerwaenden wohl mein Gesicht haengt?


Montag, 29. März 2010

Tag 108:Soll ich die Sonne meiden?

Nein! Indische Frauen versuchen zwar kontinuierlich, sich vor der Sonne zu schuetzen (einige gehen soweit und verwenden Bleichmittel zur Aufhellung der Haut - mit verherrenden Nebenwirkungen), doch ich bin eine bekennende Sonnenanbeterin. Petrus scheint meine Meinung allerdings nicht zu teilen, sonst haetten wir auf dem 5-Tages-Trek die Sonne und den Everest auch ohne Nebelmantel gesehen. Immerhin konnten wir den richtig indischen (ununterbrochen telefonierenden) Bergfuehrer davon ueberzeugen, dass unsere Beine mehr als 8km am Tag laufen koennen.

Tag X-1.75+A: Warum ist meine Decke so schwer?

Auf 3636 m.u.M. bedingen der raue Wind und die Feuchtigkeit des mystischen Nebels eine 10cm dicke Decke und eine Wollmuetze fuer die Nacht.





Eigentlich schade, dass das indische Unverstaendnis fuer die Funktionsweise eines Rauchabzuges das Heizen des Gemeinschaftsraumes nur mit an Rauchvergiftung grenzenden Symptomen der Bewohner erlauben. Die Kombination aus Yakmist und Petrolium fuehren aber leider zu einer staerkeren Rauchentwicklung als der Brennstoff Holz, welcher durchaus zur Verfuegung stehen wuerde.
Nun sind aber zwei Schweizerinnen zur Rettung herbei geeilt und haben das Mysterium des Rauchabzugs aufgedeckt.

Tag Z+1.2 Mia.: War es ein Fehler meine Wohnung zu verlassen und zuversichtlich in die Welt hinaus zu schreiten?

Bevoelkerung: 1.2 Mia.
Durchschnittliche Lebenserwartung: 64 Jahre
Analphabetisierungsrate: 75%
Mindestlohn pro Tag: weniger als 1 CHF
BIP pro Kopf: CHF 500

400 Mio. Inder leben von weniger als einem schweizer Franken am Tag. Indien ist arm.

Siedlungen aus Wellblech-Konstruktionen und Plastikzelten gehoeren zu jedem indischen Stadt- und Landschaftsbild. Es gibt Slums, in denen Kinder auf der Strasse Kricket spielen, Frauen am Wasserloch waschen und die Alten mit gekreuzten Beinen auf dem Boden sitzend ueber die Gemeinschaft wachen. Und es gibt Siedlungen, in denen die Kinder einfach im Muell sitzen, die Augen der Frauen leer sind und Ethanol der Ausduenstung der Alten am naechsten kommt. Der letzte Krieger - die Hoffnung - hat den Kriegsschauplatz laengst verlassen.

In den Nordoststaaten scheinen die Menschen ohne Krieger auskommen zu muessen. Die vier Kleinstaaten an der Grenze zu Buthan im Westen, Tibet im Norden, Myanmare im Osten und Bangladesch im Sueden sind fuer Auslaender nur mit Spezialbewilligung zugaenglich. Blutige Unruhen an der Grenze zu Bangladesch schienen denn auch ein guter Grund fuer eine verfruehte Abreise.

Tag XY im Quadrat: Soll ich mir einen grossen Hammer kaufen?

Was soll ich in Indien mit einem Hammer? Ich brauche eine Hupe!!! Mein Fahrrad hatte ja auch keine Bremsen aber eine riesige, glaenzende Klingel. Mit der waere ich im Verkehrslaerm von Kolkata (vormals Kalkutta) aber auch nicht weit gekommen. Da waere eine Atemschutzmaske wesentlich sinnvoller gewesen.

Als der nette Herr mit der alleinigen Macht ueber die Zugtickets nach 2 Stunden Wartezeit allerdings den Schalter dicht gemacht hat - mit der Konsequenz von zwei zusaetzlichen Tagen in der traumhaften Stadt - hatte ich kurz an den Kauf einer Handfeuerwaffe gedacht...

Tag 0-100X: Ist es wichtiger, dass es der Welt gut geht oder mir?

Die Antwort einer Juristin: es kommt darauf an!

Wenn es um die Unterstuetzung von Kinderheimen und Waisenhaeusern geht, die den Kindern ein Dach ueber dem Kopf, drei warme Mahlzeiten am Tag, Kleidung geben und eine Ausbildung ermoeglichen, schwitze ich gerne unter der Sonne Chennais.

Wenn die 5-Jaehrigen in der Schule einschlafen, weil sie dem Tagesablauf von morgens 5.30 Uhr bis abends 22.30 Uhr nicht gewachsen sind, wenn religioese Praktiken ueber der Gesundheit der Kinder stehen, wenn der 3-jaehrige, gehbehinderte John in meiner Anwesenheit zur Belustigung der Angestellten geschlagen wird und meine Ohnmacht mir das Herz zerreisst, dann sellt der von der Gesellschaft zum Egoismus erzogene Mensch sein Wohlergehen ueber jenes der Welt und verlaesst das Kinderheim.

Tag X+101-ZZ: Ist alles ein Traum? (der Traum)



In einem fernen Land hinter dem Horizont, fernab jeglichen Rechtsstaates, leben ganz besondere Wesen in kleinen Hexenhaeuschen in Mitten verzauberter Waelder.


Morgens versammeln sich die Bewohner zum gemeinsamen Yoga auf dem Dach des Hauptgebaeudes neben den Solar-kollektoren, begleitet vom friedlichen Rattern der Windraeder. Dem Yoga folgt die Meditation in einer ueber der Erde schwebenden Kugel aus Gold.


Jeder hat seine Aufgabe: Die Fische im Teich putzen die indischen Fuesse, Vater Pfau regelt den Fahrradverkehr durch die Cashewnuts Baeume und die Schlangen halten dir Ratten von der Kueche fern. In diesem Land gibt es Schmetterlinge in unerdenklichen Farben so gross wie Untertassen und Spinnen so gross wie Suppenteller.


Das Land ist der spirituellen Entwicklung der Menschheit geweiht. Die Atmosphaere unterstuetzt den Prozess der Losloesung von materiellen Verhaftungen, damit der Geist frei werden kann.

Tag X+101-ZZ: Ist alles ein Traum? (die Realitaet)

In einem fernen Land hinter dem Horizont, fernab jeglichen Rechtsstaates, leben ganz besondere Wesen in kleinen Hexenhaeuschen (40 Jahre Forschung im Bereich des regional nachhaltigen und insb. energieeffizienten Bauens haben eine Gebaeudeform aehnlich jener der Hobbits Haeuschen - Lord of the rings - hervor gebracht) in Mitten verzauberter Waelder (Auroville liegt auf einem wasserarmen Lehmplateau. Durch das Pflanzen von rund 3 Mio. Baeumen konnte Wasser- und Erdrueckhalt um 70% gesteigert werden. Ein subtropisches Klima wurde geschaffen).

Morgens versammeln sich die Bewohner zum gemeinsamen Yoga auf dem Dach des Hauptgebaeudes neben den Solar-kollektoren, begleitet vom friedlichen Rattern der Windraeder. Dem Yoga folgt die Meditation in einer ueber der Erde schwebenden Kugel aus Gold (Matrimandir: Eine Kugel mit ca. 40 Meter Durchmesser, die ohne maschinelle Hilfsmittel in 40 Jahren erbaut wurde - der Stolz und die Seele Aurovilles).

Jeder hat seine Aufgabe: Die Fische im Teich putzen die indischen Fuesse, Vater Pfau regelt den Fahrradverkehr durch die Cashewnuts Baeume und die Schlangen halten dir Ratten von der Kueche fern. In diesem Land gibt es Schmetterlinge in unerdenklichen Farben so gross wie Untertassen und Spinnen so gross wie Suppenteller.Das Land ist der spirituellen Entwicklung der Menschheit geweiht.


Die Atmosphaere unterstuetzt den Prozess der Losloesung von materiellen Verhaftungen, damit der Geist frei bleibt (Meine Tasche mit meinem Telefon, meinen Kreditkarten, Agenda und Adressbuch sowie meiner Kamera wurde in voller Fahrt vom Fahrrad gerrissen und ist verschwunden. Vorteil: ich werde niemanden mit Fotoshows belaestigen. Nachteil: saemtliche Kontaktdaten und Telefonnummern sind weg).

Tag X +111: Sind Ausserirdische schon lange als Joghurt unter uns?

Indischer Joghurt wird "Curd" genannt. Wird frischer Milch Zitronensaft und ein Stueck alter Curd beigefuegt und ueber Nacht an der Waerme stehen gelassen, gibt es "frischen" Curd - ich kriege davon ohnehin Durchfall.

Die Ausserirdischen sind vielleicht nicht als Joghurt unter uns, doch sie koennten in Auroville (http://www.auroville.org/) leben. 1968 haben sich im Sueden Indiens 5000 Menschen verschiedener Nationen versammelt, um ein sozio-spirituelles Projekt zu realisieren - die Schaffung einer neuen Gesellschaftsstruktur.
Die Charta von Auroville:
1. Auroville belongs to nobody in particular. Auroville belongs to humanity as a whole. But to live in Auroville, one must be a willing servitor of the Divine Consciousness.
2. Auroville will be the place of an unending education, of constant progress, and a youth that never ages.
3. Auroville wants to be the bridge between the past and the future. Taking advantage of all discoveries from without and from within, Auroville will boldly spring towards future realisations.
4. Auroville will be a site of material and spiritual researches for a living embodiment of an actual Human Unity.

Mittwoch, 27. Januar 2010

Von der heiligen Kuh

Als Tochter eines Landwirts interessiere ich mich ganz besonders fuer die einheimischen Kuhrassen, die da waeren

die recycling Kuh: sie lebt auf einem Berg zusammen getragenen Muells. Fuer die Nahrungssuche verlaesst sie ihre gewohnte Umgebung nicht, sondern durchstoebert die Ueberraschungen des heimischen Berges.

die diebische Kuh: sie liegt den ganzen Tag am Strand auf der Lauer. Wenn ein Tourist seine Tasche einen Moment unbeaufsichtigt laesst, nimmt sich die Kuh des potentiellen Nahrungsmittels an. Indische Kuehe haben sicher mehr als 7 Maegen.

Speedy Gonzales: Die schnell-wie-der-Blitz Kuh klaut im Vorbeigang einen Apfel am Fruchtstand und macht sich aus dem Staub. Dies ist auch noetig, da Einheimische sie umgehend mit Steinen und Stoecken verfolgen.

die heilige Kuh: in Indien ist es ueblich zur Unterstuetzung eines Gebets dem entsprechenden Tempel eine Kuh zu schenken. Leider haben die Tempel weder Mittel noch die Faehigkeiten, sich diesen Tieren anzunehmen. Die heilige Kuh entwickelt sich innert weniger Tage zur recycling Kuh.

Bis in den 20ern des letzten Jahrhunderts standen die Kuehe auf dem indischen Speiseplan. Mahadma Gandhi propagierte durch die Verehrung der Kuh den Ausdruck eines hinduistischen Dogmas: Ahimsa - die Gewaltlosigkeit gegenueber allen Lebewesen. Heute werden Kuehe nicht mehr verzerrt, worin sich ihre Heiligkeit allerdings auch erschoepft. Die meisten Einheimischen fuerchten sich vor den wilden Kuehen: sie leben und ernaehren sich vom Abfall und sind somit Traeger einiger unangenehmer Krankheiten.
Ich persoenlich bin aber froh, dass Gandhi Ahimsa nicht an den Moskitos praktizieren wollte...

Tag x+13-5z: Haette aus mir auch etwas anderes werden koennen?

Location: Paradis
Kontakt mit besonderen Spezien: Fledermauese, Honigameisen, diebische Kuehe

Die Leichtigkeit, mit der ich mich beim Yoga in den Kopfstand erhoben habe, war fuer mein Ego Anlass genug, an meine Eignung als Yogalehrerin zu glauben. Eine halbe Stunde spaeter sah ich mich bereits als Schlangenmensch Yoga unterrichten, natuerlich nur an den schoensten Straenden und auf den mystischen Gipfeln dieser Welt. Noch eine Stunde spaeter zwang mich die Tatsache, dass ich meinen Kopf kaum mehr bewegen konnte, die Erklimmung der mystischen Berge abzubrechen.

Gleichzeitig verdankt nun meine Muse der etwas schmerzhaften Tatsache meine lange auf sich warten lassende Aufmerksamkeit. Die Erkenntnis ueber meine bescheidene Eignung als Yogalehrerin hat nun also zur Realisierung der ersten Blog Eintraege gefuehrt.

Koennte jemand fuer mich den Massstab definieren, anhand dessen diese Erfahrung als positiv oder negativ deklariert werden kann oder kennt die Messlatte der westlichen Gesellschaft eine wertefreie Mitte?

Tag X+10: Findet mich das Glueck?

Der Schatten eines grossen Baumes verlangt geradezu, dass man sich einige Minuten der intensiven Reflexion ueber das Glueck widmet. Schliesslich hat Siddharta unter einem Baum die Erleuchtung erlangt. Was braucht der Mensch um gluecklich zu sein?

Ist der 60 jaehrige Mann gluecklich, der alleine in einer Konstruktion aus Palmenblaettern und Plastikplanen haust und jeden morgen auf eine Palme neben meinem Zimmer klettert?
Oder hat das Glueck die Frau fortgeschrittenen Alters gefunden, welche seit 2 Stunden Eimer voll Sand auf ihrem Kopf vom Laster zur Baustelle transportiert?
Ist die Frau, die mit ihrem Kleinkind in der Mittagshitze am Strassenrand liegt, gluecklich?

Wieso muss der Kellner gerade jetzt mit einem Glas frisch gepressten Saftes aus suesser Zitrone auftauchen, wo ich doch der Erkenntnis des Gluecks so nah war...

Samstag, 23. Januar 2010

Tag x+2-0.5: Kann man diese braunen Knollen essen?

Location: Agonda Beach, Goa
Kontakt mit besonderen Spezien: Delfine, Adler, Russische Strandtouristen

Wer sich in Indien solche Fragen stellt, muss grundsaetzlich mit ernsthaften Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts rechnen. Da Antibiotika auch ohne Rezept fuer ein paar Franken an der Ecke erhaeltlich sind, kann man sich dieser Frage in groszuegigen zeitlichen Abstaenden annehmen. Auf der verzweifelten Nahrungssuche nach 3 Stunden allmorgentlichen Yogas entpuppen sich einige der braunen Knollen jedoch als koestliche, birnenaehnliche Frucht, genannt Chicco.

Tag x+1: Hat die Wirklichkeit dieses Misstrauen verdient?


Location: Agonda Beach Goa
Kontakt mit besonderen Spezien: Spinnen, Kakerlaken, Skorpione, Moskitos, Ratten, Kuehe und streunende Hunde


Ich traeume jede Nacht, dass ich in einer mit Palmenblaettern bedeckten Huette am Strand lebe. Ich wache auf und die kuehle, salzige Briese, die mich beim oeffnen meiner Tuer begruesst, laesst mich glauben, immer noch zu traeumen. Der kuehle Sand unter meinen Fuessen ueberzeugt mich schliesslich davon, dass ich tatsaechlich in einer Huette direkt am Strand von Goa wohne (die rund 15 Moskitostiche leisten ebenfalls ihren Beitrag). Warum tendiert der Mensch dazu, den positiv wahrgenommenen Realitaeten mit Skepsis zu begegenen, waehrend negative Wahrnehmungen unverzueglich als absolut anerkannt werden? An der Realitaet der Riesenspinne in meinem Zimmer habe ich naemlich keine Sekunde gezweifelt...